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Frauen müssen mehr führen wollen
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Sieben Herausforderungen, mit denen Gründerinnen konfrontiert sind
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Sieben Herausforderungen, mit denen Gründerinnen konfrontiert sind
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Prof. Dr. Julia Nentwich, Psychologin und Wissenschaftlerin.

Inklusion am Arbeitsplatz

Guten Tag Frau Nentwich. Sie unterrichten als Titularprofessorin an der Universität St. Gallen. Was sind Ihre Schwerpunkte?

Ich unterrichte in erster Linie Psychologie im ersten Jahr des Studiums, dem Assessmentjahr. Hier geht es um die grundlegende Vermittlung psychologischer Konzepte und psychologischen Denkens anhand verschiedener, für Wirtschafts-, Politik- und Rechtsstudierende wichtiger und zugänglicher Themengebiete, z.B. Kommunikation und Konflikt, Geschlechterbeziehungen, Identität und Diversität. Auf Bachelor-Stufe vermittle ich das für ein empirisches Projekt in einer Bachelor-Arbeit notwendige methodische Handwerkszeug, häufig in Verbindung mit aktuellen Themen der Arbeitswelt. Das können neue Ansätze im Umgang mit Arbeitszeit und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden sein oder das Thema Karriere und was wir häufig als „Brüche“ in Karrieren wahrnehmen. Das sind klassische Organisations- und Arbeitspsychologische Themen, die ich in meinen Kursen auf aktuelle Fragen und sehr praxisorientiert vermittle.

Sie forschen unter anderem auch im Gebiet Gender und Diversity in Management und Organisation. Was untersuchen Sie hier?

In meinem aktuellen Forschungsprojekt habe ich die Umsetzung der über die letzten 20 Jahre implementierten Gleichstellungsstrategien an Schweizer Universitäten untersucht. Wir konnten zeigen, dass diese an unterschiedlichen Universitäten auf sehr vielfältige und auffallend unterschiedliche Weise umgesetzt werden konnten. Ein wichtiges Kriterium für die nachhaltige Implementierung dieser für die Organisation zunächst neuen und häufig als fremd und das „Kerngeschäft“ störenden Massnahmen stellte sich die lokale Kultur heraus: Je deutlicher und klarer ein Thema in übereinstimmender Weise besprochen wurde, umso deutlicher wurde die Massnahme auch zu einem wichtigen Bestandteil der zentralen Prozesse. Das heisst aber noch lange nicht, dass die gesetzten Ziele schnell erreicht worden wären, hier besteht immer noch grosser Aufholbedarf! Aktuell beschäftigt mich die Frage, welche Rolle männliche Führungskräfte für die Karrieren und insbesondere für die Erhöhung des Frauenanteils im Kader Schweizer Unternehmen spielen.

Wie können männliche Vorgesetzte talentierte Frauen fördern?

In welcher Form geschieht dies bereits? Was wäre aus ihrer Sicht noch dringend notwendig zu tun? Diesen Fragen gehe ich aktuell mit einem Aktionsforschungsprojekt nach. Das ist ein Projekt, bei dem wir die Forschung und die Intervention in Unternehmen direkt miteinander verbinden. So gelingt uns eine grosse Nähe zur Praxis in der Forschung und zugleich die notwendige Relevanz unserer Fragen und Ergebnisse für die Praxis.

Ein Blick über die Jahre: Welche Rolle spielten Frauen früher für die Wirtschaft und wie hat sich diese Rolle im Verlaufe der Zeit bis heute verändert?

Frauen haben schon immer eine zentrale Rolle für die Wirtschaft gespielt.

In meinen Augen stellt sich vor allem die Frage, inwieweit man diese Rolle auch anerkannt und gesehen hat bzw. es heute tut. Nach wie vor ist die traditionell von Frauen ausgeübte „Care-Arbeit“, die „Sorgearbeit“ häufig nicht gemeint, wenn wir von „Arbeit“ sprechen. Sorgearbeit umfasst unter anderem die Sorge um Kinder oder kranke Verwandte und ist häufig unbezahlt oder wird in sehr schlecht bezahlten Berufen geleistet. Dieser Teil unserer Volkswirtschaft wird nach wie vor nur sehr selten als Teil der „Wirtschaft“ wahrgenommen, obwohl ohne ihn kein Betrieb überleben könnte.

Auch wenn wir beispielsweise über die Reformen der Pensionskassen diskutieren, bleibt die Sorgearbeit noch zu häufig unberücksichtigt. Wer aber reduziert die Erwerbsarbeit für ein paar Jahre, um nach den Kindern zu schauen? Dieser oft als private Entscheidung eines Paares wahrgenommene Moment hat schwerwiegende Konsequenzen – nicht nur für das Budget der Familie zu diesem Zeitpunkt. An die Auswirkungen auf die Alterssicherung wird jedoch allzu häufig nicht gedacht. Die Altersarmut von Frauen entsteht jedoch genau hier und hat wirtschaftlich sehr wohl ernst zu nehmende Auswirkungen. Wenn wir also von der Rolle von Frauen in der Wirtschaft sprechen, sollten wir nicht nur auf Verwaltungsräte, Führungspositionen und die Anzahl Professorinnen an den Unis schauen (auch wenn das selbstverständlich auch sehr wichtig ist!), sondern auch klar die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in den Mittelpunkt stellen sowie die Kosten, die durch eine ungleiche Verteilung für die Gesellschaft (und die Wirtschaft!) entstehen.

Studien besagen, dass gut durchmischte Führungsgremien den Erfolg einer Unternehmung vergrössern. Denken Sie, dass die Gender Balance auch einen direkten Einfluss aufs allgemeine Wirtschaftswachstum hat?

Gut durchmischte Führungsgremien können für den Erfolg eines Unternehmens wichtig sein. Wie wir mittlerweile aber auch wissen, kommt es entscheidend darauf an, wie diese Diversität relevant gemacht oder „gemanagt“ wird. Für mich greift dieses Argument darum viel zu kurz. Selbstverständlich geht es in einem Unternehmen um einen betriebswirtschaftlichen Nutzen. Dieser wird aber zu schnell auf Erfolge verkürzt betrachtet. Die Kosten, die z.B. durch Diskriminierung am Arbeitsplatz entstehen können, werden nur sehr selten wahrgenommen, geschweige denn berechnet. Was kostet es aber, wenn ich Mitarbeiterinnen verliere? Eine aktuelle Studie meiner Kollegin Prof. Dr. Gudrun Sander zeigt, dass Schweizer Unternehmen überproportional viele junge, gut ausgebildete Frauen verlieren. Hier gehen einem Unternehmen Talente verloren, und das ist immer mit Kosten verbunden. Schlussendlich muss man einfach sehen, dass wir heutzutage sehr viele sehr gut ausgebildete Frauen haben und es einfach nicht sinnvoll ist, diesen keine gleichwertige Chance auf eine Karriere und eine gute Anstellung zu geben. Damit das möglich wird, müssen sich die meisten Unternehmen jedoch noch ein grosses Stück bewegen. Was sich über viele Jahre „allein unter Männern“ – und mit Hausfrau zu Hause – als bewährt und erprobt herausgestellt hat, erweist sich heute allzu oft als unpassender alter Zopf. Es muss darum heissen, eingespielte Gewohnheiten, die Kultur, eingespielte Formen der Zusammenarbeit an diese neuen und sich immer stärker verändernden Gegebenheiten anzupassen.

Sie haben den Professor wie auch den Doktortitel. Haben Sie auf Ihrem Weg auch schon Geschlechterdiskriminierung erlebt?

Im individuellen Fall eine Situation als diskriminierend einzuordnen, ist häufig schwierig, wenn nicht unmöglich. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geschieht systematisch, jedoch heutzutage häufig nicht explizit. Direkte Diskriminierung im Sinne von „Das darfst du nicht machen, da du eine Frau bist“ habe ich sehr selten erlebt. Häufiger sind Bemerkungen über Kinder, für die man ja auch zuständig sei. Im Anschluss stellt man dann fest, dass man für eine bestimmte Aufgabe nicht angefragt wurde.

Ich bin häufig in reinen Männergremien unterwegs und werde dann als „einzige Frau in dieser Runde“ scheinbar bevorzugt behandelt – ich darf zum Beispiel als Erste sprechen. Das hat klar Vorteile, zugleich aber auch den Nachteil, dass man als Frau nach wie vor als „die Andere“ zur Schau gestellt wird. Seitdem ich den Professorinnen-Titel führe, wird zudem nahezu immer darauf hingewiesen, dass ich nicht nur Professorin bin, sondern auch drei Kinder habe. Dass ich die drei Kinder aber zusammen mit meinem Mann habe und auch gemeinsam mit ihm gross ziehe, erscheint dann nicht mehr wichtig. Auf diese Weise sind es auch heute die Frauen, die als für die Sorgearbeit zuständig identifiziert werden und dann „alleine unter Männern“ als besonders oder auffallend anders wahrgenommen werden. Leider hat das ja zumeist nichts mit der eigentlichen Arbeit und dem eigentlichen Thema zu tun, kann aber stark die Wahrnehmung der Kompetenz der Person beeinflussen.

Als „Mami“ öffnen sich ganz andere Assoziationen als beim Stichwort „HSG-Professorin“.

Die folgende Anekdote mag das veranschaulichen: Als ein Freund meines Sohnes hörte, dass ich eine der Kinderuni-Vorlesungen halten werde, auf die er sich so freute, reagierte er enttäuscht: „Was, deine Mutter macht das? Aber sonst haben sie da doch immer richtige Professoren!“ Mutter zu sein und zugleich Professorin scheint auch heute noch nicht so gut miteinander vereinbar zu sein, wie es im umgekehrten Fall – der Vater und Professor ist.

Glauben Sie, dass Sie in einigen Bereichen schneller vorwärts gekommen wären, wenn Sie ein Mann wären?

Davon bin ich überzeugt, ja. Allerdings hätte ich dann sicher auch andere Fragen in meiner Forschung bearbeitet, andere Dinge erlebt. Es wäre spannend, einmal für einen Tag oder eine Woche das Geschlecht wechseln zu können, um das einmal auszuprobieren. Unsere Biographien – und damit ja auch unsere Identität – sind aber viel zu komplex, als dass wir das Geschlecht einfach „rausnehmen“ könnten. Ich habe als Frau und Mutter viele wertvolle Erfahrungen gemacht und viele Einblicke erhalten, die ich als Mann sicher nicht hätte machen können. Tauschen wollte ich also nicht! Wichtiger ist es mir, mich für die Veränderungen einzusetzen, die es uns in Zukunft noch stärker ermöglichen, die männlichen und die weiblichen Rollen in unserer Gesellschaft wertzuschätzen und sie allen Menschen in ganz selbstverständlicher Weise zugänglich zu machen.

Stichwort Konkurrenz: Haben Sie schon beobachtet, dass sich Männer besser durchsetzen können als Frauen?

Das ist sicher so, liegt aber nicht nur daran, dass sich Männer besser durchsetzen könnten, sondern dass sie auf offenere Ohren stossen. Ich habe einen wichtigen Hinweis hierzu von einer Interviewpartnerin aus meiner Dissertation erhalten: Sie hat als hoch spezialisierte Ingenieurin ihren Kunden bei der ersten Begegnung jeweils ihre Visitenkarte in die Hand gedrückt. Dies, um vom ersten Moment an klar zu machen, dass sie als promovierte Ingenieurin die Expertin sein muss, und nicht, wie oft vom Gegenüber angenommen, ihr auch anwesender männlicher Assistent. Als Metapher benutze ich dieses Bild sehr häufig: Was muss ich meinem Gegenüber geben, damit ich trotz meines Geschlechts als Expertin angesehen werde? Diese Arbeit müssen meine männlichen Kollegen nicht machen, ihnen wird die Expertise, aber auch der Respekt, automatischer zugeschrieben.

Sie sind sehr erfolgreich. Was raten Sie Ihren Studentinnen, die Karriere machen möchten?

Sich nicht von ihrem Weg abbringen zu lassen und an ihren Zielen festzuhalten, zugleich aber auch sie selbst zu bleiben.

Frauen müssen sich noch immer einiges mehr zutrauen, um ans gleiche Ziel wie der Mann neben ihnen zu kommen.

Das braucht einerseits mehr Biss und Selbstvertrauen, andererseits aber auch hin und wieder genug Realismus, dass man sich auch mit etwas weniger zufriedengeben kann. Dies im Bewusstsein, dass wir eben noch keinen Zustand der absoluten Chancengleichheit erreicht haben. Auch wenn ich mir wünsche, dass meine Studentinnen tolle Karrieren haben (und einige haben das ja auch bereits deutlich zeigen können!), sehe ich doch auch, dass wir als Individuen nicht alles „ausbügeln“ und auf unseren Schultern tragen können, was schlichtweg am Arbeitsplatz, im Unternehmen und auch in der Gesellschaft im Argen liegt!

Rubrik

gefragt

Ausgabe

Konkurrenz und Wirtschaft

prof. Dr. Julia Nentwich

Nationalität
Deutsche und Schweizerin

Zivilstand
verheiratet

Beruf
Psychologin und Wissenschaftlerin

Webseite
opsy.unisg.ch

Info
Ich habe in Bremen Psychologie studiert und eine Ausbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin abgeschlossen. Nach
der Promotion zum Thema Gleichstellung an der Universität Tübingen war ich als Assistenzprofessorin an der Universität St. Gallen in Forschung und Lehre aktiv. Heute unterrichte und forsche ich als ständige Dozentin und Titularprofessorin zu den Themen, die mir am Herzen liegen – Inklusion, Gleichstellung und Gesundheit am Arbeitsplatz.

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