Mehr Mut zur Lücke | Die Wirtschaftsfrau
Männersicht: Kultur und Konkurrenz
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Die erste schweizer Frauenrechtlerin
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Anka_Wittenberg_Mehr_Mut_zur_Luecke
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Anka Wittenberg, Chief Diversity & Inclusion Officer bei SAP SE.

Mehr Mut zur Lücke

Anka Wittenberg, Sie sind Chief Diversity & Inclusion Officer bei SAP, eine anspruchsvolle und zeitaufwändige Tätigkeit. Wie sorgen Sie für eine gute Work-Life-Balance?

Arbeit und private Zeit gehen immer mehr ineinander über. Ich persönlich versuche, bewusst im Moment zu leben. Wenn ich zum Beispiel am Flughafen bin, dann nehme ich mir bewusst den Moment, hinzusitzen und einen Kaffee zu trinken. Diesen Moment geniesse ich dann auch und habe auch kein schlechtes Gewissen dabei. Oder gerade heute Nachmittag hatte ich einen Kundentermin und danach eine Stunde frei, in der ich mich hingesetzt, auf den Zürichsee geschaut und die schöne Aussicht zusammen mit dem schönen Wetter genossen habe – ohne mich deswegen schlecht zu fühlen, da ich genau weiss, dass ich morgens um fünf Uhr aufstehen und mit China telefonieren werde.

Ich denke, dass man den Übergang zwischen privat und beruflich nicht mehr so stark differenzieren kann.

Darum versuche ich so gut wie möglich, immer „im Moment“ zu sein. Wenn ich zuhause bin und mit der Familie zu Abend esse, dann esse ich auch mit meiner Familie zu Abend, und bemühe mich, allen aktiv zuzuhören und nicht darüber nachzudenken, was die nächsten drei Sachen sind, welche ich erledigen muss.

Aus Sicht der Arbeitnehmenden: Was wünschen Sie sich von Arbeitgebern noch mehr in Bezug auf die Gender-Diversität?

Transparenz und auch das Commitment von „top-down“, also vom gesamten Management. Die Gender-Diversität gehört ganz klar zur Strategie für den nachhaltigen Erfolg des Geschäfts dazu. Es ist ein Teil der Firmenstrategie, nachhaltig erfolgreich zu sein. Sieht man es so, will man die besten Leute. Und dann haben wir auch dasselbe Verständnis davon.

Welche Strategie verfolgt SAP, um die Gender-Diversität auf allen Stufen so gut wie möglich zu fördern?

Ein Beispiel dazu: Wir bei SAP schauen darauf, dass wir die Gender-Diversität auch in unseren Produkten sichtbar machen. Im Einkauf zeigen wir unseren Kunden auf, wer unsere Lieferanten sind, und welche davon dann zum Beispiel auch von Frauen geführt werden. So können die Firmen ganz bewusst eine Entscheidung treffen, wo sie einkaufen wollen. Das wird von ganz vielen globalen Playern so gemacht. Wenn man das nicht sieht, wird man sich damit langfristig vom Markt verabschieden. Lieferanten, welche von Frauen oder Minderheiten geführt werden, werden erfahrungsgemäss mehr unterstützt.

Aus Sicht der Arbeitgeber: Was müssen Frauen noch mehr mitbringen, um in eine Leitungsfunktion zu kommen und mit den Männern mithalten zu können?

Sie müssen sich selber treu bleiben und Verantwortung übernehmen. Frauen bewerben sich erst auf eine Position, wenn sie wirklich alle ausgeschriebenen Qualifikationen anbieten können. Ein Mann bewirbt sich oft schon, wenn er ungefähr 60% der Qualifikationen abdecken kann.

Frauen brauchen ein bisschen mehr Mut zur Lücke.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass innerhalb eines Teams nicht nur eine Frau, sondern mindestens drei Frauen dabei sind. In dem Augenblick, in dem sich in einem Team drei Frauen befinden, sieht man die Qualifikation der Frau. Sonst ist es immer nur „die Frau im Team“. Da rückt ein Fehler von ihr stärker in den Fokus. Jeder macht Fehler. Frauen sind da viel zu kritisch, Männer sind lange nicht so kritisch wie wir mit uns selbst.

Ein Tipp zum Schluss: Was raten Sie Frauen, welche Kinder haben und eine Führungsposition anstreben oder die bereits eine solche innehaben?

Ich habe selber drei Kinder und immer voll gearbeitet. Meine Kinder gehen vielleicht das erste Mal ohne Sportsachen zur Schule. Dann sitzen sie auf der Bank und gucken beim Sport zu. Sie gehen vielleicht auch ein zweites Mal ohne Sportsachen zur Schule, weil ich Ihnen die Sportsachen nicht hinter her bringen werde. Ein drittes Mal werden sie aber nicht ohne Sportsachen zur Schule gehen. Da sind wir manchmal vielleicht auch „Über-Mütter“. Ich glaube, da ist immer noch ein gesellschaftlicher Anspruch an uns. Ich habe auch schon von meinen Kindern in der Grundschule gehört; „Mami, du bist die einzige, die vor Weihnachten keine Kekse backt in der Schule“. Das ist auch nicht mein Job, Kekse zu backen in der Schule. Dazu sind Lehrer da und wenn sie das machen wollen, können sie das machen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, auch nicht als Mutter, in der Schule Kekse zu backen. Wenn ich mit meinen Kindern Kekse backen möchte, dann machen wir das zu Hause.

Ich denke, wir können auch viel von Skandinavien lernen. Mein Sohn lebt in Stockholm, seine Frau arbeitet bei McKinsey und die beiden werden Eltern. Die Erziehung werden sich die beiden teilen. Mein Sohn wird sicher auch zu Hause bei seinem Kind sein. Ich weiss auch, dass er jetzt bereits vier Abende die Woche kocht. Das ist ein ganz anderes Rollenverständnis. In der Schweiz ist es ja auch üblich, sein Arbeitspensum zu reduzieren: Wenn zum Beispiel der Mann 80% berufstätig ist, die Frau 80% arbeitet, das Kind drei Tage in der Krippe ist, ein Tag der Vater aufpasst und ein Tag die Mutter. Mein Tipp zum Schluss: Ich habe es vorhin bereits gesagt, ein wenig Mut zur Lücke haben, nicht perfektionistisch sein. Wir lernen so viel von unseren Kindern als Mütter. Meine Kinder haben mich oft wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht, was wirklich wichtig ist. Damit können wir auch meistens bessere Entscheidungen im Job treffen. Das ist nichts, was man verstecken müsste.

Rubrik

gefragt

Ausgabe

Kultur und Konkurrenz

Anka Wittenberg

Nationalität
Deutsch

Titel
Chief Diversity & Inclusion Officer

Webseite
sap.com

Anka Wittenberg hat sich bereits mit 21 Jahren selbständig gemacht. Sie studierte Wirtschaftswissen-schaften, zog drei Kinder gross und arbeitet seit 2011 bei SAP. Seit 2013 ist sie als Chief Diversity & Inclusion Officer SAP SE tätig. Kürzlich ist sie als einer der „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“ vom Handelsblatt Deutschland ausgezeichnet worden.

Diversität

DIVERSITY & INCLUSION: WIESO DIVERSITÄT FÜR UNTERNEHMEN VON STRATEGISCHER BEDEUTUNG IST

Diversity & Inclusion ist für Unternehmen in verschiedenen Bereichen von grosser Bedeutung, angefangen bei der Positionierung als attraktive Arbeitgebermarke im Arbeitsmarkt. Um als anziehende Arbeitgeberin wahrgenommen zu werden, ist es unerlässlich, dass Diversität im Unternehmen gefördert wird – und dass diese Tatsache auch gegen aussen kommuniziert wird.

Eine Organisationskultur und ein Umfeld, welche Diversität und Inklusion fördern, sind wichtiger für das Vertrauen von Frauen, um höhere Managementpositionen zu erreichen, als individuelle Einflüsse, so eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2013.

Ziel ist, dass sich Minderheiten nicht an die Kultur anpassen müssen, sondern dass sich die Kultur nach den Mitarbeitenden richtet – unter anderem auch unter Berücksichtigung der Minderheiten. Alle Mitarbeitenden sollten sich der Unternehmung zugehörig fühlen, aber auch in ihren individuellen Charakteren wertgeschätzt werden.

Durch eine gelebte Diversity & Inclusion-Kultur können Unternehmen die Motivation ihrer Mitarbeitenden gezielt fördern, indem ein Gefühl von organisationaler Fairness geschaffen wird. Zudem kann die Effizienz der Unternehmung gestärkt werden, wenn die Diversität gezielt gelebt und gefördert wird, da unterschiedliche Mitarbeitende auch unterschiedliche Ansichten, Lösungsansätze und Ideen einbringen.

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