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Die Winzerinnen Adeline Mayor (v.l.n.r.), Madeleine Ruedin, Stéphanie Delarze, Mélanie Weber und Noémie Graff. Quelle: Noémie Graff
Winzerin Noémie Graff: «Die Arbeiten waren zutiefst geschlechtsspezifisch»
Noémie Graff ist Winzerin – ein Beruf, der vermehrt von Männern ausgeführt wird. Im Interview klärt sie über geschlechtsspezifische Vorurteile auf und verrät, was sie jungen Winzerinnen mit auf den Weg geben würde.
Die prächtigen Weinberge gehören zur malerischen Kulisse des Waadtlands einfach dazu. Egal ob ein fruchtiger Chasselas, ein reichhaltiger Cabernet oder – wie gelegentlich als König der Rotweine bezeichnet – ein süsslicher Pinot noir: Die Westschweiz hat bezüglich Weinvielfalt einiges zu bieten.
Noémie Graff ist Winzerin mit Leib und Seele. Nach einem Lizenziat in Alter Geschichte an der Universität Lausanne und einem Ingenieurdiplom in Önologie an der Weinbauschule in Changins, ist sie 2006 zum Familienbetrieb «Le Satyre» in Begnins zurückgekehrt. Schon von klein auf hat sie dort beobachtet, wie sie sich in diesem Umfeld entfalten könnte – mit Erfolg. Wir haben mir ihr über ihr Frauennetzwerk und die Besonderheiten des Waadtlands gesprochen.
Frau Graff, arbeiten Sie als Winzerin in einer Männerdomäne?
Ja, durchaus. Wenn man bedenkt, dass in einer Männerdomäne der Anteil der Männer eindeutig in der Mehrheit ist. Der erste Grund dafür ist, dass der Besitz von Agrarland sehr lange in männlicher Hand war.
Was die Arbeit selbst betrifft, so waren Frauen natürlich nicht ausgeschlossen. Die Aufgaben waren allerdings zutiefst geschlechtsspezifisch. Die Männer waren für das edle Beschneiden der Reben zuständig, die Frauen für das Entfernen von kleinen Blättern. Zum Weinkeller hatten Frauen nur wenig Zugang. Die Beziehung zwischen Mensch und Wein war schon immer von einer besonderen Alchemie geprägt. Auch hier legten die Männer Wert darauf, sich das Monopol auf das zu sichern, was in der Mittelsteinzeit die Beziehung zum Göttlichen kennzeichnete.
Das klingt ganz danach, dass auch heute noch ein gewisses Stigma vorherrscht. Wie kann man Frauen in der Schweizer Weinwelt unterstützen und fördern?
Wir würden (zumindest fast) alle darum bitten, dass man eine Winzerin nicht mehr fragt, wo denn ihr Mann sei, wenn man in einen Weinkeller geht oder an der Weinmesse an einen Stand kommt. Spass beiseite: das Bild, das man vom Beruf hat, sollte sich ändern.
Natürlich ist er traditionsverbunden, aber auch viel komplexer und vielseitiger, als man sich vorstellt. Die Frauen haben das übrigens verinnerlicht: Sie initiieren einen ökologischeren Weinbau (Bioproduktionsweise, Restaurierung der Biodiversität, Naturweine) und nehmen in diesen Bereichen immer mehr Platz ein, wovon sie auch profitieren. Winzer zu sein ist viel mehr, als ein Mann, der auf einem Traktor sitzt!
Das ist ein Statement! Welchen Ratschlag würden Sie denn jungen Winzerinnen mit auf den Weg geben?
Ganz pragmatisch gesehen würde ich Muskeltraining empfehlen: Rücken und Knie werden auf die harte Probe gestellt. Ein guter Chiropraktiker ist auch von Nöten. Noch wichtiger aber ist es, den oder die PartnerIn zu finden, der/die Verständnis dafür aufbringt, dass es sich um einen alles einnehmenden Beruf handelt.
Er wird aus Sicht des Partners/der Partnerin mehr Zeit einnehmen als der eigene Beruf, auch wenn es sich dabei um eine höher angesehene und besser bezahlte Stelle handelt. Sei es die Bestimmung der Arbeitszeit, die Freizeit, Ferien und die mit anderen diskutierten Themen: Das Weingut wird immer Vorrang haben. Das Gelbe vom Ei ist ein guter Freundeskreis von Winzerinnen. Auch wenn ich meine männlichen Kollegen sehr mag, «es ist nicht dasselbe».
Wie haben Sie sich einen solchen Freundeskreis aufgebaut?
Diese Momente «unter Girls» verbringe ich vor allem im Winzerinnenverein «Nous Artisanes du Vin». Dort können wir uns austauschen oder gemeinsame Projekte wie eine Weinbar an der «Fête des Vignerons» 2019 in Vevey realisieren.
2021 haben wir zum ersten Mal gemeinsam Weine gekeltert. Die Artisanes des Waadtlands haben im Rahmen der Operation Escargot Rouge, die zum Ziel hat, Waadtländer Rotweine auch ausserhalb der Kantonsgrenzen bekannt zu machen, einen charakterstarken Wein kreiert. Ein gemeinsam gekelterter Wein hat grossen Seltenheitswert, da die Vinifizierung ein sehr intimer Moment ist. Mir kommen keine Beispiele in den Sinn, wo Männer so etwas auf die Beine gestellt hätten. Für uns ging es aber wie von selbst – und bleibt eine unvergessliche Erfahrung. Auch das kann es bedeuten, in diesem Beruf «Frau» zu sein.
Was sind für Sie nebst den geschlechtsspezifischen Vorurteilen die grössten Herausforderungen in Ihrem Beruf?
Unser Zeithorizont ist sehr weit. Das ist ganz im Gegensatz zur heutigen Gesellschaft, in der alles sofort geschehen soll. Als ich beschlossen habe, einen Rosé in mein Sortiment aufzunehmen, musste ich ab dem Lancieren des Projekts 18 Monate Geduld haben, bis der neue Wein in der Flasche war.
Wenn man beschliesst, eine neue Rebsorte zu pflanzen, muss man bis zu 10 Jahre einrechnen, bis sie ihr Potenzial voll entfaltet. Derzeit pflanze ich Bäume, um die Biodiversität am Weinberg zu erhöhen und dem Klimawandel entgegenzuwirken. Hier muss man eher gar mit 20 Jahren rechnen, bis das Resultat spürbar ist.
Mit diesen Bedingungen ist es schwierig, nach der Mode zu gehen. Vor allem wenn man wie ich Bioproduktion betreibt, in der viele «Hilfsmittel» verboten sind.
Es ist ersichtlich, dass die Weinproduktion viel Liebe zum Detail verlangt. Dabei spielt auch das Herkunftsgebiet eine grosse Rolle. Was ist weintechnisch gesehen das Besondere an Ihrer Region?
Die Lieblingsrebsorte des Waadtlands ist der Chasselas, ein Weisswein von grosser Finesse, der die lokale Bodenbeschaffenheit und das Klima des Jahrgangs sehr gut widerspiegelt. In meiner Region ist er sehr fruchtig. In der Region Lavaux mit ihren wunderbaren Landschaften schmeckt er viel mineralischer und in den Mikrogebieten Dézaley und Calamin ist er aussergewöhnlich. Mein Gut liegt auf für Rotwein perfektem Boden, weshalb ich den Pinot noir vorziehe. Er reagiert viel sensibler auf den Boden und vor allem aufs Klima als ein Cabernet oder ein Merlot, die von Jahrgang zu Jahrgang konstantere Weine bilden.
Und nun noch zum Abschluss, was macht für Sie einen guten Wein aus?
Schöne, das heisst reife und gesunde Trauben. Danach kommt das Terroir in seinen verschiedenen Komponenten zum Zug: Boden, Klima, Rebsorte und natürlich die Winzerin oder der Winzer, der sich um sie kümmert. Zu guter Letzt auch die Emotionen, die der Wein bei jedem einzelnen weckt.
Kategorie
News
Publiziert am
06.04.2022
Hashtag
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